Rehpfad II – ‚Neue Welt‘
Videoinstallation
Ein Schiff, das von einer ‚Alten Welt‘ in eine ‚Neue Welt‘ fährt. Darauf ereignen sich unheimliche Dinge. Pelzige Behausungen stehen in dichten Wäldern, bewohnt von Kopflosen. Fellwesen, die die Welt der Kopflosen erobern. Darauf die Rache der Kopflosen. Fellwesen und Kopflose leben gegeneinander und miteinander in der ‚Neuen Welt‘. Sie überschütten sich mit Grausamkeiten. Wer wen beherrscht, wird nicht ersichtlich.
Die Videoarbeit Rehpfad II ist das Kernstück, um das sich alle anderen Teile des Rehpfad gruppieren. In dieser Welt ist die Furcht vor dem Unbekannten heruntergebrochen auf die Interaktion archaischer Wesen, deren Handlungen ins Leere laufen und aus deren Kämpfen niemand als Sieger hervorgehen kann. In Rehpfad II schlüpfe ich in fremde Rollen männlichen Geschlechts, bin Eroberer wie Eroberter, und alle Dinge, die die Wesen sich gegenseitig zufügen, füge ich mir selber zu. Am Ende stehen Absurdität und Chaos. Ich blicke auf das Fremde und das Fremde blickt zurück auf mich.
Rehpfad II – Videostills
Das Knarren hölzerner Schiffsplanken führt uns hinüber in die ‚Neue Welt‘. Die Gestalten im Inneren des Schiffs sehnen sich nach Helligkeit, nach Licht, nach Luft. Es ist nicht sicher, ob der dunkle, schaukelnde Bauch sie je gehen lassen wird; die Schatten, die mit ihnen reisen, sind überall. An diesem Ort des Übergangs gelten andere Gesetze, bestehende Verhältnisse werden immer wieder gestürzt. Die Gestalten sind des Umstürzens müde, aber sie können nicht entkommen.
Die Handlungen der Videoarbeit sind größtenteils Anleihen bei den verschriftlichten Mythen und Dichtungen der chilenischen Mapuche. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein bewahrten diese ihre Unabhängigkeit; bis ihre Gebiete schließlich gewaltsam an Chile angegliedert und massiv von Einwanderern aus Europa besiedelt wurden, unter diesen auch meine Urgroßeltern. In den Mythen der Mapuche werden Handlungsstränge fallengelassen oder laufen ins Leere; Helden verschwinden, sterben oder wechseln Namen und Gestalt. Um die Zeit der spanischen Eroberung herum verändern sich die Überlieferungen. Es tauchen neue Gestalten auf, zumeist Tiergestalten, die besiegt, überlistet, geschändet werden. Ich entnehme diesen Mythen einfache Handlungsstränge, besetze sie neu, kombiniere sie anders.
Auszüge aus Rehpfad II, Rohmaterial ohne Farbkorrektur, teilweise vertont
Ton: Josef Maria Schäfers
Dann kommt der Wald in Sicht, wie eine Wand. Hier liegt der Eingang zur ‚Neuen Welt‘. Dahinter siedeln die Bewohner des erreichten Kontinents. Sie suchen Schutz in ihren Hütten, doch der Feind lauert auch in ihnen, im Dunkeln. Frauen und Kinder sitzen beieinander und lauschen Geschichten, nicht wissend, ob diese in einer finsteren Vergangenheit oder in der nahen Zukunft spielen. Sie handeln vom Krieg der Kopflosen und der Fellwesen. Von verschlagenen Kriegern, die die Gestalt von Tieren annehmen können, die sich wechselseitig in fremder Gestalt besuchen, die ihre Feinde verstümmeln, sich gegenseitig verzehren; das Essen der jeweils anderen vergiften.