In der Betrachtung des Fremden liegen Staunen und Schauder nah beieinander.
Wie begegne ich dem Unbekannten, wie der Angst, die sich einstellt, wenn meine Identität verschwimmt? Meine Vorfahren wanderten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aus Europa und dem Nahen Osten nach Chile aus, von dort kamen meine Eltern nach dem Militärputsch 1973 nach Deutschland. Wie viele Kinder von Migrant:innen bin ich eine Sammlerin; Chronistin einer Familiengeschichte, die stets von Auflösung bedroht ist, weil Andere auf sie blicken oder sie einem selbst fremd geworden ist. In dieser kann alles, was wahr war, falsch werden; was schön war, hässlich; das Starke schwach, was schmeckte wird fad.
Ich teile Verschwindendes, beschreibe die Furcht vor dem Unbekannten, indem ich sie mir einverleibe und bildhaft werden lasse:
Kreis, Stein, Mond, Fleisch, Hütte, Baum, Brot
Meine Arbeit durchwandert und verbindet unterschiedliche Denkebenen und künstlerische Medien. Ressource und Ausgangspunkt ist das Autobiographische und Subjektive, das ich in langen Prozessen weiterentwickle und zu etwas Unvorhergesehenem und Wandelbaren forme. In meiner Arbeit höre ich die Gegenseite an und spüre ihre Stärke. In ihr bin ich schuldig und schäme mich, bin ohnmächtig und agiere zugleich machtvoll. Es ist mein Bedürfnis, Ambivalenz als Werkzeug der Erkenntnis anzuerkennen und zuzulassen.
Ambivalenz ist Teil meiner eigenen Biographie, in der sich Täter- und Opferpositionen vermischen. Meine deutsche Familie wanderte während eines späten Kolonialisierungsprojektes nach Lateinamerika aus: Deutsche wurden im 19. Jahrhundert von der chilenischen Regierung angeworben und systematisch im Süden des Landes angesiedelt, um den Mapuche ihren Lebensraum zu nehmen. Die andere Seite meiner Familie musste zur Zeit des osmanischen Reichs mehrfach vor der Christenverfolgung fliehen und verlor ihre Heimat Palästina; in der neuen Heimat genoss sie kein hohes Ansehen, wie es bei der deutschen Seite der Fall war. Mit noch zusätzlich entwurzelten Eltern bin ich in Deutschland aufgewachsen. Hier gab es für mich keine feststehenden Wahrheiten, keine unverrückbaren Überzeugungen. Die Dinge waren, wie sie gerade schienen, konnten aber auch das genaue Gegenteil bedeuten.
Dieser unhintergehbaren Ambivalenz begegnet man in jeder meiner Arbeiten.